Urteile zum Thema Nichtversetzung11.05.2012
UrteiL: VG Mainz, Beschluss v 27.08.2010, 6 L 857/10; VG Braunschweig, Beschluss v 10.08.2010, 6 B 149/10.

Versetzung durch Gerichtsentscheid?

Die Nichtversetzung in die nächste Klasse ist für Schüler und Eltern der Alptraum schlechthin. Nicht nur die schulische Entwicklung wird gebremst, auch soziale Kontakte zu Mitschülern werden häufig zerstört. Wenn die Notengebung dann auch noch als ungerecht empfunden wurde, stellt sich die Frage, ob rechtliche Abwehrmöglichkeiten bestehen.

Sitzengeblieben!

Ein Schüler der siebten Klasse hatte im Jahreszeugnis zweimal die Note mangelhaft. Da er diese nicht ausgleichen konnte, wurde ihm die Versetzung verweigert. Der Schüler klagte vor dem Verwaltungsgericht mit dem Argument, zumindest eine „Fünf“ sei unberechtigt, da der Lehrer zu Unrecht seine schlechteren Leistungen im 2. Schulhalbjahr wesentlich stärker als die besseren Leistungen im ersten Halbjahr bewertet habe.

Außerdem habe er eine „Fünf“ ausgeglichen. Also müsse er ebenso behandelt werden wie andere Schüler, die nur eine Fünf hätten. Da diese versetzt worden seien, stelle seine Nichteversetzung einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz dar. Hat eine solche Klage Aussicht auf Erfolg?

Die Zeugnisvergabe ist kein rechtsfreier Raum: Art. 12 GG tangiert

Grundsätzlich ist in einem solchen Fall der Rechtsweg zum Verwaltungsgericht eröffnet, ggfls. nach Durchführung eines Widerspruchverfahrens. Zeugnisse und die darin enthaltenen Schulnoten haben auf den Lebenslauf eines Menschen häufig einen entscheidenden Einfluss. Nicht nur die Versetzung, auch die Erlangung von Ausbildungs- oder Studienplätzen hängt davon ab.

Zeugnisse tangieren die Persönlichkeitsrechte, insbesondere die Freiheit der Berufswahl nach Art. 12 GG. Daher sind Schüler und Eltern der Zeugniserteilung nicht schutzlos ausgeliefert. Immer wenn die genannten Rechte berührt sind, hat der Betroffene die Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit der Notenvergabe gerichtlich überprüfen zu lassen.

Jahreszeugnisse unterliegen der gerichtlichen Anfechtung

Jahreszeugnisse, die über die Versetzung in die nächsthöhere Klasse sowie Abschlusszeugnisse, die über die Erlangung von Studien- und Ausbildungsplätzen entscheiden, greifen unmittelbar in grundgesetzlich geschützte Rechtspositionen der Betroffenen ein und werden daher als Verwaltungsakte angesehen. Gegen diese kann zunächst Widerspruch und im Falle der Nichtabhilfe Klage beim zuständigen Verwaltungsgericht eingereicht werden.

Nach welchen Kriterien überprüft das Gericht ein Schulzeugnis?

Hier haben die Gerichte den Grundsatz aufgestellt, dass die Benotung der Leistung eines Schülers zunächst eine subjektive, auf unterschiedlichen Komponenten beruhende Bewertung des Lehrers ist. Der dem Lehrer hierbei zustehende individuelle Beurteilungsspielraum ist nur eingeschränkt justiziabel. Die Entscheidung über Versetzung und Nichtversetzung beinhaltet letztlich eine Prognose darüber, ob der Schüler die nächsthöhere Klassenstufe wird erfolgreich durchlaufen können.

Überprüfbar sind hierbei folgende Faktoren:

  • Hat der Lehrer den der Benotung zugrunde liegenden Sachverhalt zutreffend und vollständig erfasst?
  • Hat er in die Benotung sachfremde Erwägungen einfließen lassen?
  • Lassen sich offensichtliche Einschätzungs- und Bewertungsfehlererkennen?
  • Wurde das Gleichbehandlungsgebot beachtet?
  • Ist das vorgeschriebene Verfahren beachtet worden?

Beispiele:

Hat der Lehrer statt der vorgeschriebenen 5 Klassenarbeiten nur 3 schreiben lassen, hat er die mündliche Beteiligung des Schülers am Unterricht bei der Bewertung unberücksichtigt gelassen, hat der Lehrer es unterlassen, die Eltern rechtzeitig auf einen erheblichen Leistungseinbruch des Schülers hinzuweisen, kann die Bewertung rechtsfehlerhaft und die Verweigerung der Versetzung rechtswidrig sein.

Im Ausgangsfall war nach Auffassung des Verwaltungsgerichts der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt, da die Versetzungsordnung für den Fall von zwei Bewertungen mit der Note „Mangelhaft“ eine Versetzung nur bei Ausgleich beider „Mangelhaft“ vorsah – und dies für alle Schüler gleichermaßen. Im Übrigen sei dem Lehrer eine stärkere Berücksichtigung der durch den Schüler zuletzt gezeigten Leistungen im Rahmen seines Beurteilungsspielraums erlaubt.

Verfahrensweg:

In den meisten Bundesländern ist vor Klageerhebung die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens erforderlich. Dieses ist sinnvoll und durchaus erfolgversprechend. Hier hat zunächst die Schule selbst zu entscheiden, ob sie dem Widerspruch abhilft. Dies geschieht in der Praxis in nahezu 50 % der Fälle.

Wenn die vorgebrachten Einwendungen gegen die Benotung plausibel und schlüssig sind, wird die Schule in der Regel nicht das Risiko eingehen, dass sie bei der anschließend erforderlichen zusätzlichen Prüfung durch die übergeordnete Schulbehörde abgestraft wird. Die Klage selbst ist in Brandenburg, Mecklenburg - Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein – Westfalen, Saarland, Sachsen – Anhalt und Schleswig – Holstein gegen die Schule selbst zur richten, in den anderen Ländern gegen das jeweilige Bundesland. Die Frist für Widerspruch und Klage beträgt jeweils 1 Monat.

Vorläufige Versetzung durch gerichtliche Anordnung

Bis zur endgültigen Entscheidung durch das Verwaltungsgericht kann einige Zeit vergehen. Eine positive Entscheidung durch das Gericht nach einem Jahr oder später würde dem Schüler aber nicht mehr wirklich helfen. Deshalb kann mit der Klage oder auch schon mit Einreichung des Widerspruchs bei Gericht ein Antrag auf vorläufige Versetzung in die nächste Jahrgangsstufe eingereicht werden.

Hierüber entscheiden die Gerichte in der Regel noch vor Beginn des nächsten Schuljahres. Bis zur endgültigen gerichtlichen Entscheidung besucht der Schüler dann die nächste Jahrgangsstufe. Eine solche einstweilige Anordnung wird das Gericht aber nur erlassen, wenn die beabsichtigte Klage gute Erfolgsaussichten hat.

Fazit: Schüler und Eltern sind der Benotung durch die Lehrer keineswegs hilflos ausgeliefert. Trotz umfangreicher Überprüfungsmöglichkeiten, bleibt dem Lehrer aber doch ein subjektiver Beurteilungsrahmen, der durch die Gerichte nicht überprüfbar ist.

(VG Mainz, Beschluss v 27.08.2010, 6 L 857/10; VG Braunschweig, Beschluss v 10.08.2010, 6 B 149/10).

 

VBE-NRW



URL dieses Artikels: ../index.php?mode=show_at&tagid=161&aid=113


copyright © 2001 - 2012 Verband Bildung und Erziehung, Landesverband NRW