Anliegenden Vermerk des LWL-Integrationsamt Westfalen übersende ich m.d.B. um
Kenntnisnahme und Beachtung.
Das Integrationsamt kommt zu dem Ergebnis, dass die Schwerbehindertenvertretung vor der Anordnung der amtsärztlichen Untersuchung (bei schwerbehinderten und diesen gleichgestellten Beschäftigten) gem. § 95 Abs. 2 SGB IX anzuhören ist; eine reine Unterrichtung ist nicht ausreichend. Die Anhörung hat so frühzeitig und rechtzeitig zu erfolgen, dass die zuständige Schwerbehindertenvertretung noch ausreichend Gelegenheit hat, eine Stellungnahme abzugeben.
Ich teile diese Auffassung und bitte, entsprechend zu verfahren.
Siehe Seite 2 und 3 weiter unten.
LWL-Integrationsamt Westfalen
Behinderte Menschen im Beruf
Für die Menschen.
Für Westfalen-Lippe
VerfasserinNerfasser: Telefon:
E-Mail: Datum Aktenzeichen:
Carla lhme
0251 591-3575 carla.ihme@lwl.org
03.07.2009
61-5862 u. 61-5930
Vermerk
Ist die Weisung des Dienstherrn an schwerbehinderte Beamte zur amtsärztlichen
Untersuchung eine beteiligungspflichtige Angelegenheit nach § 95 Abs. 2 Sozialgesetzbuch - SGB - IX?
Die Beantwortung der Rechtsfrage richtet sich nach § 95 Abs. 2 S. 1 SGB IX.
Danach hat der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren, unverzüglich und umfassend zu unterrichten und vor einer Entscheidung anzuhören. § 95 Abs. 2 S. 1 SGB IX räumt der Schwerbehindertenvertretung ein umfassendes Informations- und Anhörungsrecht in allen Angelegenheiten ein, in denen Entscheidungen zu treffen sind, die einzelne Schwerbehinderte oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren. "Berühren" bedeutet, dass alle Maßnahmen des Arbeitgebers, mögen sie geringfügig oder schwerwiegend sein, die einen einzelnen schwerbehinderten Menschen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe beeinflussen können, der Unterrichtungs-und Anhörungspflicht des § 95 Abs. 2 SGB IX unterliegen. Informations- und anhö rungspflichtige Maßnahmen sind z. B. Bewerbungen, Einstellungen, Umsetzungen, Versetzungen, Entlassungen, Kündigungen, Verlängerung der Probezeit, Anordnung von Überstunden und Mehrarbeit, etc. oder z. B. Maßnahmen zur Ordnung des Betriebes wie eine Parkplatzordnung oder die Schaffung von Sozialräumen.
Die dienstliche Weisung nach § 44 Abs. 6 ( § 42 Abs.1 S.3 a.F.) Bundesbeamtengesetz (BBG) ist eine Entscheidung des Dienstherrn, bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen des BBG den Beamten aufzufordern, sich der amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Mit der Anordnung der amtsärztlichen Untersuchung wird eine Maßnahme veranlasst, die im Einzelfall erhebliche Auswirkungen auf das Beschäftigungsverhältnis eines schwerbehinderten Beamten haben kann. Die Weisung begründet eine Dienstpflicht, deren Nichtbefolgung sogar disziplinarrechtlich verfolgt werden kann. Sie indiziert allerdings weder die Einleitung eines Zwangspensionierungsverfahrens noch die abschließende Entscheidung des Dienstherrn über die Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit (OVG Niedersachsen - Beschluss vom 29.01.2001 - 5 ME 61/07 -). Unklar ist, ob die Weisung ein Verwaltungsakt ist.
Bei der Weisung des Dienstherrn, sich amtsärztlich untersuchen zu lassen (vgl. § 44 Abs. 6 BBG /§ 42 Abs.1 S.3 BBG- a.F.-) handelt es sich zweifelsohne um eine "Angelegenheit" nach § 95 Abs. 2 SGB IX.
Die Schwerbehindertenvertretung ist damit in jedem Fall darüber zu informieren, dass eine schwerbehinderte Beamtin/ein schwerbehinderter Beamter zum "Amtsarzt" geschickt werden soll. Diese Information muss die Schwerbehindertenvertretung so rechtzeitig vorher erhalten, dass sie noch die Möglichkeit hat, zu agieren, z.B. Rückmeldungen an den Dienstvorgesetzten zu geben oder ein Gespräch mit dem betroffenen schwerbehinderten Menschen zu führen.
Fraglich ist, ob über die Informationspflicht hinaus auch eine Anhörungspflicht nach § 95 Abs. 2 SGB IX besteht. Zwar wird die Informations- und Anhörungspflicht häufig in einem Atemzug genannt. Gleichwohl unterscheidet das Gesetz zwischen Information und Anhörung. So ist bei Verletzung der Anhörungspflicht - anders als bei Verletzung der Informationspflicht- die getroffene Entscheidung auszusetzen und die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung innerhalb von 7 Tagen nachzuholen (vgl. § 95 Abs. 2 S. 2 SGB IX).
Unter dem Begriff "Entscheidung" im Zusammenhang mit der Anhörung der Schwerbehindertenvertretung sind in der Regel alle personellen Maßnahmen zu verstehen, die direkte Auswirkungen auf das Beschäftigungsverhältnis haben (Versetzung, Abordnung, Beförderung, Entlassung, Versetzung in den Ruhestand etc.). Im öffentlichen Dienst vertritt die Rechtsprechung teilweise die Auffassung, dass nur solche Entscheidungen anhörungspflichtig i.S.d. § 95 Abs. 2 SGB IX sind, die die Qualität eines Verwaltungsaktes haben. Das OVG NRW hat im Beschluss vom 14.10.1994-1 A 2213/91 PVL die Auffassung vertreten, dass die Regelbeurteilung über schwerbehinderte Beamtinnen oder Beamte in Ermangelung einer "Regelung" mit bestimmten unmittelbaren Rechtswirkungen keine Entscheidung iSd § 25 Abs.2 S.1 SchwbG (jetzt: § 95 Abs.2 S.1 SGB IX) darstelle. Dienstliche Beurteilungen haben keine Verwaltungsaktqualität. Deshalb sei die Dienststellenleitung nicht verpflichtet der Schwerbehindertenvertretung die Beurteilungsentwürfe zur Stellungnahme (Anhörung) vorzulegen und ihr die abschließend gefertigten Beurteilungen mitzuteilen. Die neuere Kommentarliteratur geht jedoch zunehmend davon aus, dass es hinsichtlich der Anhörungspflicht nicht darauf ankommen kann, ob es sich bei der Entscheidung um einen Verwaltungsakt im eigentlichen Sinne handelt. Dabei wird nachvollziehbar damit argumentiert, dass die Begrenzung des Begriffs der Entscheidung iSd § 95 Abs. 2 SGB IX im öffentlichen Dienst auf Verwaltungsakte der umfassenden Formulierung des § 95 Abs. 2 SGB IX "in allen Angelegenheitern" nicht gerecht werde. Dieser weiten Auslegung ist im Hinblick auf Sinn und Zweck des Informations- und Anhörungsrechtes des § 95 Abs. 2 S. 1 SGB IX der Vorzug zu geben. Für die Auslösung eines anhörungspflichtigen Tatbestandes kann es nicht darauf ankommen, ob es sich bei der Entscheidung, wenn Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes betroffen sind, um einen echten Verwaltungsakt handelt. Dann wären die schwerbehinderten Beschäftigten des öffentlichen Dienstes im Vergleich zu den Beschäftigten der Privatwirtschaft in Einzelfällen benachteiligt, z. B. bei der dienstlichen Beurteilung. Deshalb kann nach hier vertretener Meinung auch offen bleiben, ob die dienstliche Weisung nach § 44 Abs. 6 BBG I § 42 Abs.2 S.3 BBG a.F. Verwaltungsaktsqualität hat.
Es ergibt sich damit, dass die Weisung des Dienstherrn an schwerbehinderte Beamte zur amtsärztlichen Untersuchung informations- und anhörungspflichtig gem. § 95 Abs. 2 S. 1 SGB IX ist.
Die Anhörung der Schwerbehindertenvertretung vor der Einleitung der amtsärztlichen Untersuchung ist auch sinnvoll. Durch Hinweise wie z. B. dass die schwerbehinderte Lehrkraft die Antragsaltersgrenze für Schwerbehinderte überschritten hatte und dies übersehen wurde, dass die schwerbehinderte Lehrkraft sich in einer aktuellen, befristeten Therapie befand, dass die Aufnahme des Dienstes schon wieder bevorstand, können beabsichtigte amtsärztliche Untersuchungen vermieden werden. Die bloße Information der Schwerbehindertenvertretung über eine bevorstehende amtsärztliche Untersuchung eines schwerbehinderten Beschäftigten hingegen ohne die Möglichkeit der Anhörung und ohne Einräumung von Gestaltungsmöglichkeiten wäre in der Praxis unnütz.
Im Auftrag
Carla lhme
Quelle: www.SBV-Graskamp.de